
Abfall ist Rohstoff
Medizin- und Sicherheitstechnik benötigen hochleistungsfähige Werkstoffe und Metalle. Das Dräger-Abfallmanagement bringt Rohstoffe ausgedienter Produkte zurück in den Wirtschaftskreislauf.
Die Dinge vom Ende her denken
Die Dinge vom Ende her denken, das ist der Job von Florian Baer. Elektroaltgeräte, Verpackungsmaterialien, Produktionsausschüsse: Alles, was hier in der Produktrücknahme landet, hat ausgedient. Industriemeister Baer leitet das Abfallmanagement der Dräger Gebäude und Service GmbH mit zwei Standorten in Lübeck, das nach § 56 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) als Entsorgungsfachbetrieb zertifiziert ist. „Wir holen aus den Abfällen das Bestmögliche raus, entsorgen Nichtverwertbares und halten dabei die geltenden Bestimmungen ein – zum Schutz der Umwelt“, sagt er.
Scheinbaren Müll betrachtet Baer als Wertstoffstrom, den er zusammen mit fünf Kollegen in neue Bahnen lenkt. Fundorte für Rohstoffe sind die Altgeräte, die Kunden nicht mehr brauchen. „Das, was wir selber herstellen, nehmen wir auch wieder zurück“, sagt Dr. Michaela Schatz, Umweltbeauftragte bei Dräger. Das Unternehmen nimmt die Produktverantwortung seit den 1990er-Jahren sehr genau; für den gesamten Lebenszyklus seiner Medizin- und Sicherheitstechnik und darüber hinaus. „Wir machen das freiwillig mit KrWG-Genehmigung“, sagt die Chemikerin, „und wollen das Verständnis dafür schärfen.“
Zwei Facharbeiter demontieren jährlich mehr als 100 Tonnen Medizin- und Messtechnik, Sensoren, Filter sowie andere Verbrauchsmaterialien aus Kundenrückgaben. „Für Altgeräte sind wir nach dem Elektro- und Elektronikgerätegesetz als Erstbehandlungsanlage zertifiziert“, sagt Florian Baer.
Dräger unterstützt die Entsorgung mit Recyclingpässen sowie Stofflisten, Skizzen und Demontage-Empfehlungen nach WEEE-Richtlinie 2012/19/EU (Waste of Electrical and Electronic Equipment).
Abfallberge in Rohstoffquellen verwandeln
Im Trolley eines Beatmungsgerätes lassen sich rund 15 kg Aluminium gut identifizieren und wiederverwerten. Vor allem mit viel Erfahrung, im Zweifel mittels Testverfahren, entscheiden die Mitarbeiter, was getrennt werden kann. Nach der ersten Grobdemontage verbleiben Stahl, Kupfer und Messing als Legierungen in weiteren Komponenten. Materialgemische, verschweißte und verklebte Teile, Geräteschrott oder Leiterplatten gehen an Dienstleister, die solche Bauteile trennen und sortieren können. „So sorgen wir dafür, dass unser Elektroschrott nicht auf illegalen Müllplätzen landet“, sagt Baer.
Edelmetalle zurückgewinnen
In hochwertigen Sensoren finden sich winzige Mengen an Gold und Platin: „Was da wie Gold glänzt, ist auch Gold – meist als dünne Beschichtung, doch die lässt sich gut zurückgewinnen.“ Nach der kostenfreien Rücknahme und Demontage gehen die Sensoren in ein Metallrecycling, nach dem schließlich Gold, Silber und Platin in höchstem Reinheitsgrad ausgebracht werden. Verwertbare Mengen von Platin finden sich auch in Sensoren der Alcotest-Geräte, von denen man beispielsweise mehrere Tausend Stück von der französischen Polizei zurückgenommen hat. Alle Einzelteile, Tester, Sensoren, Leiterplatten und Gehäuse werden nach der Demontage in den Kreislauf zurückgeführt. Über Deutschlands Grenzen hinweg Produkte zurückzunehmen ist nach europäischem Abfallrecht aufwendig. „Wir möchten aber europäischen Kunden unseren Service ebenfalls anbieten“, sagt Dr. Michaela Schatz. Bislang ist das mit komplizierten Notifizierungsverfahren und hohen Kosten verbunden.
Die Europäische Kommission will die Abfallverbringungsverordnung (WSR; Waste Shipment Regulation) überarbeiten. „Wir setzen uns dafür ein, die Wahrnehmung der Produktverantwortung durch den Hersteller zu erleichtern“, sagt Dr. Schatz.
Wertschöpfung und Schadstoffentfrachtung
Bei der Demontage der Altgeräte geht es um Wertschöpfung und Schadstoffentfrachtung, wie etwa beim Sauerstoffselbstretter, der im Bergbau genutzt wird. Ein Facharbeiter zerlegt das Produkt aufwendig von Hand, entfernt die Patrone, die eine Chemikalie für die Sauerstofferzeugung enthält, und entschärft den Starter. Die Kunststoffe daran sind gekennzeichnet, werden sortenrein gesammelt und verwertet.
Mit bis zu acht Tonnen Abfall je Tag sind Krankenhäuser der fünftgrößte Müllproduzent in Deutschland. Im Durchschnitt fallen täglich etwa sechs Kilo je Patient an, dreimal mehr als beim gesunden Normalbürger. Dräger achtet bereits in der Produktentwicklung auf sparsamen Materialeinsatz und gute Recyclingfähigkeit. Blau-schwarze Recyclingtonnen stehen seit Jahren bei Krankenhäusern und Industriebetrieben zur sachgerechten Rücknahme. Ein Service, mit dem Dräger bis heute weitestgehend konkurrenzlos dasteht.
Möglich macht dies der vor rund 20 Jahren gegründete Dräger Abfallwirtschaftsverband w.V. Der übernimmt für seine Mitglieder alle Aufgaben rund um ein umweltfreundliches, rechtssicheres und wirtschaftliches Abfallmanagement. Die großen Dräger-Gesellschaften in Lübeck, aber auch andere Gewerbebetriebe (insgesamt 26 Firmen) liefern alles, was sie nicht mehr benötigen. „Wir trennen, sortieren, führen die gesetzlichen Nachweise und erstellen Abfallbilanzen“, sagt Baer. Das Dräger-Abfallmanagement ist dabei kein Entsorger, sondern Dienstleister des Verbands. „Wir geben das Material zur Verwertung – oder, wenn dies nicht möglich ist, zum Beseitigen und Deponieren.“
In der Schadstoffanalytik sind Dräger-Röhrchen ständig im Einsatz. Ihr Reagenzsystem enthält Kleinstmengen verschiedener Chemikalien. Substanzen, die gemäß EU-REACH-Verordnung einer Zulassungspflicht unterliegen, wurden bereits in der Produktion durch unbedenklichere Stoffe ersetzt. Benutzte oder überlagerte Dräger-Röhrchen können zur Verwertung nach Lübeck geschickt werden. Dräger erforscht auch, ob etwa Beatmungsschläuche und Filter aus Biokunststoffen oder Rezyklat herstellbar sind. „Da stoßen wir leider immer noch an Grenzen, weil die Auflagen für Medizinprodukte sehr hoch sind“, sagt Dr. Schatz. Meist ist nicht sichergestellt, dass ein Rezyklat dieselben Eigenschaften erfüllt wie ein neuer Kunststoff. Und die Produktion von Biokunststoff ist im Vergleich zu herkömmlichem Kunststoff teuer.
„Wir haben die Erfahrung und das Know-how, weil wir die Inhaltsstoffe kennen. Auf Wunsch übernehmen wir auch die komplette Logistik und bieten so ein Rundum-sorglos-Paket.“
Florian Baer
Leiter Abfallmanagement, Dräger Gebäude und Service GmbH
Komplexes Rechtssystem
Mindestens 35 übergeordnete kommunale, landes-, bundes- und EU-rechtliche Vorschriften, Gesetze, Verordnungen und Richtlinien sind anzuwenden, wenn man Abfälle sicher und sauber entsorgen will. Verwerten vor beseitigen, diesen Vorrang fügt das Kreislaufwirtschaftsgesetz der umfangreichen Nomenklatur noch hinzu. Jeder neue Abfallschlüssel braucht eine eigene Genehmigung, „jeweils befristet“, sagt Gefahrstoffexpertin Dr. Schatz. „Verlängerungen müssen einzeln beantragt werden.“ Das strenge, komplexe und ständig wachsende Rechtssystem der Entsorgungsbranche ist ihr Spezialgebiet. „Wir arbeiten eng mit der Stadt Lübeck zusammen.“
3.900 Tonnen Abfall fielen 2019 bei Dräger in Lübeck an; bei einer Verwertungsquote von knapp 96 Prozent. „Sondermüll wie Lösungsmittel, Farb- und Lackrückstände gehen in spezielle Verbrennungsanlagen“, sagt Baer. „Nur ein kleiner Rest wird deponiert, etwa Asbest oder Dämmstoffe.“ An oberster Stelle der fünfstufigen Abfallhierarchie des KrWG (§ 6) steht jedoch die Abfallvermeidung. Seit 2009 hat sich die gesamte Abfallmenge bei Dräger bei steigendem Umsatz auf etwas mehr als zwei Tonnen Abfall je einer Million Euro Umsatz fast halbiert. In zunehmendem Maße bestimmen EU-Richtlinien, was nötig ist, um die Ressourcen zu schonen. Bis zu 80 Prozent der Umweltauswirkungen von Produkten haben ihren Ursprung in der Designphase‚ hat die Europäische Kommission errechnet. Dräger überlegt schon zu Beginn, wie neue Instrumente nach Ablauf ihrer Nutzung sinnvoll recycelt werden können, und verfolgt das langfristige C2C-Prinzip (Cradle to Cradle; von der Wiege zur Wiege), das statt der linearen Nutzung der Rohstoffe auf zyklische Wiederverwendung setzt. Seit 2015 gibt es ein systematisches Monitoring für Stoffe, deren gesetzliche Beschränkung absehbar ist oder diskutiert wird.
„Nachhaltige Produkte werden künftig die Norm sein“, sagt der litauische EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius. Das im EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft vorgesehene Recht auf Reparatur ist bei Dräger ein Grundprinzip. Weltweit finden fachgerechte Wartungen und Reparaturen statt, damit Kunden von einer langen Nutzungsdauer der Geräte profitieren.
Manches Material erfordert eine Komplettlösung
Etwa 18 Millionen Mal im Jahr wird in Deutschland ein Patient für eine Operation in einen künstlichen Schlaf versetzt. Jedes Narkosegerät enthält eine Kunststoffkartusche mit Atemkalk, um CO2 (Kohlenstoffdioxid) aus der rückgeatmeten Luft zu binden. „Seit 2015 stuft die LAGA (Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall) Atemkalk als gefährlichen Abfall ein“, sagt Chemikerin Schatz. Getrennte Sammlung und Nachweis sind seither Pflicht. Etwa alle vier Wochen muss die Trockenchemikalie ausgetauscht werden, weil sich die Absorptionsfähigkeit nach und nach erschöpft. Dräger bietet für Kalk (Typ: Drägersorb 800+) und Kartuschen ein umfassendes Rückhol- und Wiederverwertungskonzept an. Krankenhäuser sammeln die verbrauchten Behälter in Recyclingtonnen, die gut verschlossen an Dräger zurückgehen, sobald sie voll sind. „Der Kunde kann sicher sein, dass er einen rechtmäßigen und sauberen Entsorgungsweg gefunden hat. Das spart Zeit und Geld“, sagt Dr. Schatz.
Ein Mitarbeiter in der Produktrücknahme löst die verbrauchte Chemikalie aus der Kartusche, die geschreddert und thermisch weiterverwertet wird. Durch die großen Mengen wird Atemkalk zum Schüttgut, auf dem Entsorgungshof gesammelt und nach der Aufbereitung zum Teil in der Landwirtschaft zur Verbesserung des Bodens eingesetzt. Mehrere Hundert Tonnen Kalkabfall schlug der Dräger-Entsorgungshof 2019 um. Auch Aktivkohle aus Filtern für Atemschutzmasken findet eine zweite Verwendung: Dräger liefert das verbrauchte Granulat an die metallverarbeitende Industrie als Reduktionsmittel für Schmelzöfen. Damit endet der Lebenszyklus des Rohstoffs so verantwortungsvoll, wie er begonnen hat: Die Aktivkohle wird aus den Schalen von Kokosnüssen hergestellt – ein nachwachsender Rohstoff. Die Aluminiumfilter werden gesammelt, geschreddert und gehen als Metallschnipsel an einen Recycler.
Lieferant für Sekundärrohstoffe
Zwar entfallen nur etwa drei Prozent der jährlichen globalen Kunststoffproduktion auf die Medizintechnik, doch bei innovativem Einsatz ist hochleistungsfähiger Kunststoff führend – ob für Einwegartikel, Implantate oder diagnostische Hilfsmittel. „Wir sortieren Kunststoffe in Hülle und Fülle“, sagt Florian Baer. Nur ein sortenreiner Kunststoff, unlackiert, ohne Weichmacher und ohne Anhaftungen ist gut zu vermarkten. „Für die bunten Gemische aus vielen Polymeren gibt es in Deutschland aktuell kaum einen Markt.“ Werden sie nicht abgenommen, bleibt nur die thermische Verwertung in Fachbetrieben, bei Dräger sind das mehrere Hundert Tonnen pro Jahr. Der Energiegewinn dabei ist zwar beachtlich, für Baer aber nur die zweitbeste Lösung. Wiederverwertung ist sein Anliegen, ob als Verpackung oder in Logistik- und Lagersystemen, als Blumen und Getränkekasten, Folie, Fensterrahmen oder Gießkanne aus Rezyklat. „Unsere Sekundärrohstoffe sind abhängig von nationalen und internationalen Märkten sowie den entsprechenden Preisen.“
Vereinbarungen mit den Abfallerzeugern über die Vergütung der Abfallmengen werden monatlich bewertet und angepasst. Seit 2019 schreibt das Verpackungsgesetz eine Recyclingquote von 58,5 Prozent vor, ab 2022 sogar 63 Prozent. Bislang fehlt ein verlässlicher Markt für Rezyklate, damit die erhöhten Quoten in eine funktionierende Kreislaufwirtschaft münden können. Seit März 2020 ist zudem Hamburg Cirplus am Start, eine frei zugängliche Börse für Sekundärkunststoffe mit einem Volumen von bereits 500.000 Tonnen. Gehandelt wird Plastik jeden Reinheitsgrads. Ein gelber Sack ist schon für einen Cent zu haben. „Beim Abfallmanagement in einem Industriebetrieb geht es nicht darum, Geld zu verdienen“, bekräftigt Florian Baer. „Wir wollen Geld sparen, auch für unsere Kunden – und dabei die Umwelt schützen.“
Text: Constanze Sanders Fotos: Patrick Ohligschläger Veröffentlichung: Dezember 2020